Dienstag, 4. April 2006

Leben in der Vergessenheit

Ich muss mal meinen Gedanken zu einem ungewohnt ernsten Thema freien Lauf lassen:
Alzheimer, Altersdemenz, und das Leben im Alter generell.

Ich kenne einige Leute, die in der Pflege tätig sind.
Dadurch höre ich natürlich vieles und habe selbst auch schon einige Nachtschichten in einem Altersheim mitgemacht (Hatte ich ja auch schon mehrfach erwähnt ...), und erlebt, wie es den Bewohnern dort geht.

Besonders beschäftigt mich eine dortige Bewohnerin, ich nenne sie einfach mal Frau F.
Frau F. ist schon über 90, aber wirkt auf jeden Aussenstehenden wie ein völlig normaler, fitgebliebener und geistig komplett wacher Mensch.
Sie achtet sehr auf ihre Körperpflege (Sie macht noch alles selbst), frisiert sich sehr aufwendig und kleidet sich absolut top.
Körperliche Gebrechen hat sie auch nicht.
Quasi eine Bilderbuchoma wie aus der Fernsehwerbung.
Man kann sich auch wunderbar mit ihr unterhalten, solange man nicht auf ein bestimmtes Thema zu sprechen kommt: Ihren seit 20 Jahren verstorbenen Mann.

Frau F. ist nämlich immer felsenfest davon überzeugt, dass er sie gleich aus dem Heim abholt.
Sie benimmt sich auch immer, als wäre sie dort nur kurz zu Gast.
Manieren hat die gute Frau nämlich auch ganz vorbildliche.
Trotzdem sorgt das natürlich für einige Komplikationen.
Abends in ihr Zimmer gebracht zu werden verweigert sie beispielsweise komplett.
ihr Mann holt sie schliesslich nicht aus dem Zimmer, sondern aus dem Aufenthaltsraum ab.
Wenn ein Pfleger ihr dann glaubhaft versichert hat, dass ihr Mann in ihrem Zimmer wartet, geht es aber plötzlich.
Sie wundert sich dann auch nicht, dass ihr Mann nicht wirklich da ist.
Aber am nächsten Tag meint sie wieder, dass er gleich kommt.
Dass sie schon so lange auf ihn wartet, blendet sie komplett aus.
Also ist sie nichtmal enttäuscht, dass er sie schon wieder nicht abgeholt hat.

Eine andere Bewohnerin glaubt dasselbe von ihrem Sohn.
Sie ist allerdings auch sonst ziemlich verwirrt und ist mit ihren Illusionen nicht so konsequent wie Frau F.
Da wechselt es ständig, was sie grade glaubt.

Eine Sache finde ich übrigens wirklich rührend: Egal, was sie schon alles vergessen und verlernt haben - geliebte Menschen bleiben in ihrer Erinnerung.

Andere Bewohner sind komplett verwirrt, aber es geht ihnen allen körperlich relativ gut (Pflegebedürftig sind sie aber schon allein wegen ihrer Verwirrtheit) und sie scheinen sich alle wirklich wohlzufühlen.
Sie werden ja auch gut umsorgt.
Wobei man erwähnen muss, dass es sich nicht um ein "normales" Heim handelt, sondern um ein ziemlich teures privates.

Ich frage mich jedenfalls, ob es nicht sogar wünschenswert ist, auf so eine Art und Weise alt zu werden.

Was bringt einem in diesem hohen Alter ein klarer Verstand, wenn man dadurch bloss mitbekommt, dass man in einem Heim lebt und einem fremde Menschen sogar auf der Toilette assistieren oder sogar windeln müssen? Oder dass die eigenen Kinder einen kaum noch besuchen. Oder dass man in einem Haus lebt, wo einem andauernd die Mitbewohner wegsterben.

Ist es da nicht besser, in einer Fantasiewelt zu leben, und quasi alles auszublenden, was an der körperlichen Verfassung, dem eigenen Leben, der Vergangenheit nicht stimmt?

Das ist natürlich bloss Theorie, weil niemand genau sagen kann, was in einem so verwirrten Menschen wirklich vorgeht.

Trotzdem bin ich grade sehr nachdenklich ...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Daniel!

Ich finde Deine Gedanken sehr interessant.

Alten- und Pflegeheime stimmen mich auch immer besorgt, oder eher nachdenklich. Es ist ein eindrucksvolles Bild unserer Gesellschaft: Alte und gebrechliche Menschen werden einfach "entsorgt", in ein Heim "abgeschoben" und die Familie kommt einmal im Quartal zum Pflichtbesuch.

Aber geht es den Kindern anders? Beide Elternteile müssen arbeiten um die Nachhilfe und die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder (sofern sie welche haben) zu finanzieren! Voraussetzung ist natürlich, dass beide Elterneteile überhaupt noch zusammen leben.

Der Trend geht eindeutig zu einer isolierten Gesellschaft. Zu früher Zeit lebte man gemeinsam in einer Gemeinschaft. Heute lebt man einsam in einer Umwelt der "gemeinsamen Einsamen".

Bald wird es im Restaurant nur noch Singeltische geben, die Neuauflage des Smarts hat dann nur noch einen Sitz (und eine riesige Ablagefläche für den ganzen Müll den man einkauft, weil man eine Ersatzbefriedigung braucht) und jedweder persönliche kontakt wird aus einer sicheren Distance über das Internet geführt, denn der "moderen Mensch" will schnell und nahe am Geschehen sein!
Ist es denn nicht viel romantscher über Gayromeo seinem liebsten, der vielleicht grade auf der anderne Straßenseite in dem schwach erleuchteten Zimmer am PC sitz (was man ja nicht weiß, weil man nicht weiß wie er aussieht, geschweige denn wo er her kommt), einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, als möglicherweise in seinen Armen einzuschlafen?

So genug geistige Grütze für den Moment! ;-)

Lebenskoffer hat gesagt…

Hallo :)
Leider hast Du komplett Recht.
Mehr kann man dazu wirklich nicht sagen, du hast den Nagel komplett auf den Kopf getroffen.
Schon irgendwie deprimierende Zukunftsaussichten ... aber eigentlich ist die Gegenwart auch nicht weniger tragisch.