Dienstag, 24. April 2007

Totentanz

oder
"Was machen wir heute abend, Brain?"


Montag abend in der grossen Stadt. Der Kater vom Sonntag ist überstanden, ich habe in dieser Woche frei und deswegen grosse Lust, wieder auszugehen.
Bloß wohin?
Ein Blick ins Internet und in das Szenemagazin meines Vertrauens gibt Aufschluss: Eine Stadtführung unter feministischen Gesichtspunkten, ein Vortrag über zahnlose Tiere in der dritten Welt (natürlich ebenfalls unter feministischen Gesichtspunkten) und ein gemischter Jugendgruppen-Monopoly-Abend sind die absoluten Highlights, wenn man keine Lust auf eine Dark-Wave-Veranstaltung mit mindestens 80% heterosexuellen Untoten hat.
Für den Fall, dass man auf einer Tanzfläche oder sonstwo richtigen Partyspaß haben möchte, ist das natürlich alles nichts.
Also entscheide ich mich dafür, in irgendeine Bar zu gehen. Da ist zwar auch nichts mit tanzen, aber was solls.
Zunächst versuche ich erst einmal eine halbe Ewigkeit lang, telefonisch irgendeine Begleitung aufzutreiben. Vergeblich. Natürlich müssen morgen alle arbeiten. Genauso wie mein Freund, der 5 Meter hinter mir schon friedlich schlummert und irgendetwas in meine Richtung murmelt.
Klingt wie "Viel Spass!". Kann ja nie schaden.
Ich bewege mich also mehr oder weniger begeistert freundesseelenallein in die nächste halbwegs plüschige Bar, wo ich mir zum Start des Abends wie üblich einen Cocktail ordere, den ich noch nicht kenne.
Zum Testen von Cocktails sind solche leergefegten Bars nämlich optimal. Man muss ja danach auch das Gefühl haben, man hätte etwas sinnvolles getan.
Ich sitze also herum, trinke lustlos und frage mich, wo denn bloss alle sind.
Nach einer halben Stunde merkt der Barkeeper dann auch, dass ich mich über meiner Bloody Mary zu Tode langweile und weil es ihm genauso ergeht (kein Kunstück bei 4 Gästen), kommen wir ins Gespräch. Der Barkeeper hat natürlich auch keine Ahnung, wo Montags alle stecken.
Gegen halb 2 wird es dann mit einem Mal richtig voll, das allerdings auch bloss, weil sich eine komplett heterosexuelle Silberhochzeitsgesellschaft hereinverirrt. Die guten Leute sind offensichtlich höchst begeistert von der schrillen Dekoration. Ich warte bloss darauf, dass der erste anfängt Fotos zu knipsen, um den daheim in Castrop-Rauxel gebliebenen Nachbarn zu zeigen, in was für einen ungeheuer verruchten Laden man sich gewagt hat.
Der Barkeeper ist jetzt erst einmal eine Weile beschäftigt und ich sitze wieder allein da.
Natürlich bleibe ich es nicht lange, denn der obligatorische ältere Herr, der mir einen Drink anbietet, lässt nicht lange auf sich warten. Irgendwo muss es ein Nest geben.
Immerhin hat er Geduld bewiesen. Wie ich aus den Augenwinkeln beobachtet habe, saß er schon seit mindestens einer Stunde schräg hinter mir und schaute mich an, als wollte er meinen Hinterkopf hypnotisieren. Jetzt sieht er seine grosse Stunde offensichtlich gekommen. Währenddessen nehme ich hinter mir das erste Blitzlicht wahr.
Der Barkeeper ist am Bestellungen aufnehmen und die favorisierte, weil momentan einzige, Beute der spendablen alten Herren ist schutzlos den Gefahren des Dschungels ausgesetzt.
Der zahn- und mähnenlose Löwe steht auf, bleibt eine Sekunde stehen und sieht dann zu mir rüber, als hätte er mich bisher noch gar nicht bemerkt. Dass ich nicht sofort aufspringe und weglaufe, sieht er wohl als Ermunterung. Es kommt wie es kommen muss, er stolziert etwas wackelig mit einem gewinnenden Lächeln im Gesicht direkt auf mich zu.
Mit verschwörerisch gesenkter Stimme teilt er mir seine Vermutung mit, dass ich doch sicherlich sehr gern ein Bier hätte.
Ich denke ein paar Sekunden über eine schlagkräftige Antwort nach ("Bier? Also unter einem Longdrink läuft bei mir gar nichts!"), aber entscheide mich dann doch, ihn weder für meinen langweiligen Abend, noch für seine lahme Anmache büßen zu lassen.
Manchmal bin ich schliesslich nett.
Ich lehne auf ausgesucht höfliche Art dankend ab, was er glücklicherweise als Aufforderung versteht, sich nach dem Austausch einiger weiterer höflicher Floskeln wieder auf seinen Platz zu setzen. Geknickt und wohl auch entmutigt stellt er sogar das anstarren für ein paar Minuten ein.
Als ich mich wieder meinem Cocktail, meiner Zigarette und meinem Handy zuwenden will, werde ich kurz gebeten, ein sehr brav aussehendes Pärchen aus der Hochzeitsgesellschaft vor einer wahnsinnig gefährlich wirkenden Lichterkette an einer mit rotem Plüsch bezogenen Wand zu knipsen.
Irgendwann riskiert mein neuester Verehrer wieder einen Blick und stellt fest, dass mein Drink grade zu Ende geht.
Gott sei Dank, das scheußliche Zeug war meine erste und letzte Bloody Mary.
Entweder das, oder ich werfe beim nächsten Mal einfach ein paar Nudeln hinein.
Er bewegt sich also wieder in Richtung Theke, offensichtlich bereit für die zweite Runde.
Er riskiert einen erstaunten Blick in mein mittlerweile tapfer leergetrunkenes Glas und wirft mir ein Lächeln zu, das erkennen lässt, dass mein Glas definitiv nicht das erste war, in das er heute geblickt hat.
"Wirklich kein Bier?"
"Wirklich kein Bier, Danke."
Der verhinderte Spender begreift anscheinend, denn er winkt den Barkeeper heran, um zu zahlen.
Nach dieser Prozedur geht er hinaus und ich stelle fest, dass er 2 Euro vor mich auf die Theke gelegt hat. Für knapp 5 gewechselte Sätze kein schlechter Lohn, aber trotzdem etwas seltsam.
Ich schaue auf die inzwischen sehr angeheiterte Hochzeitsgesellschaft und befürchte, dass dieser Abend immer noch das Potential hat, ein bisschen absurder zu werden.
Also lasse ich noch ein kurzes Fotoshooting über mich ergehen ("Das war bestimmt kein echter Schwuler, der hat nicht einmal versucht, Onkel Knut anzubaggern!"), verabschiede mich bei der erstbesten Gelegenheit von meinem neuen Lieblingsbarkeeper und mache mich auf den Weg nach Hause. Allein, versteht sich.
Ich springe ins Taxi und schwöre mir, niemals wieder auf einem Montag ausgehen zu wollen.
Zumindest bis nächste Woche.
Dann besuche ich lieber den Monopolyabend.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

*kicher* Süß!

anke-art hat gesagt…

Wow, alle Achtung, das nenne ich Schreibtalent! Mal ehrlich: Hst Du schon mal darüber nachgedacht, Deine Texte an Verlage zu schicken? Bin hin und weg :)

Lebenskoffer hat gesagt…

Dankeschön :)

Ich hab mich mal mit einem der Texte bei einer Zeitschrift beworben, als die jemanden für eine Kolumne suchten.
Ist nix draus geworden ...

Ursprünglich habe ich das alles mal geschrieben, um ein Buch draus machen zu lassen, aber irgendwann gingen mir die Ideen aus.
Vielleicht trifft mich ja die Inspiration wieder, wenn ich erstmal wieder in Berlin lebe.
Ich habe auch noch haufenweise unfertige Texte hier rumzuliegen, die aus diesem Projekt stammten, vielleicht veröffentliche ich die hier auch mal, wenn ich mit den fertigen Texten durch bin.
Es kommen nämlich noch ein paar in den nächsten Tagen :)

Anonym hat gesagt…

Mir geht es da genauso ... man hat ein Haufen Ideen, kann sie aber nicht zu Ende führen, weil die Muse einen ungeküsst warten lässt.

Vielleicht klappts ja doch noch ... ich find die Texte wirklich gut

Achteinhalb hat gesagt…

Ja, ich lese Deine Texte auch gerne.

Endlich mal, dass man sich auf die Ankündigung "Fortsetzung folgt" freuen kann!

Lebenskoffer hat gesagt…

Das blöde ist halt, daß mir persönlich am allerbesten diejenigen Texte gefallen, die seit 3 Jahren unvollständig auf der Festplatte vor sich hingammeln *g*

Heut so gegen Mittag kommt wohl der nächste .... und nochmal tausend Dank für das ganze liebe Feedback, kaum zu glauben daß ich anfangs echt Bedenken hatte, das Zeug hier zu veröffentlichen ...