Mittwoch, 25. März 2009

Mein Bär

Viele kleinen Kinder haben einen imaginären Freund.
Ich hatte so etwas zwar nicht wirklich ausgeprägt, aber es gab trotzdem jemanden, den ich einmal pro Woche sah.
Aber von vorne.
In meiner Kindheit wohnten meine Großeltern ganz nah am Weißenseer See und wir hatten die Tradition, dass mein Opa meine Mutter und mich jeden Samstag mit dem Auto abholte und wir den Samstag dort verbrachten, inklusive nachmittäglichem Spaziergang durch den unheimlich schönen Park (Planschbecken, Spielplätze, Tiergehege, Sonnenuhr, Fontäne, Bootsverleih, Freibad … da gibt es alles, was das Kinderherz begehrt) rund um den See, und an den wirklich tollen Samstagen hatte meine Oma eine Tüte mit trockenem Brot dabei, mit dem ich die Enten und Schwäne am See und die Hirsche im Freigehege füttern durfte.
Opa machte Mittagsschlaf, wir 3 anderen waren im Park.
Direkt am Eingang stand dort ein Stein (kann man sich von Format und Größe her wie einen Grabstein vorstellen, obwohl ich den Vergleich nicht mag) mit einer Bronze-Plakette, und ich musste jeden Samstag als allererstes den auf der Tafel abgebildeten Bären begrüßen – richtig mit Handschlag. Da es sich um ein Relief statt nur einen Aufdruck handelte, war das sogar halbwegs möglich.
Mann kann sich daher mein Entsetzen vorstellen, als ich eines Samstag nichtsahnend wie immer zu meinem „Freund“ rannte und ihn quasi tot vorfand.
Wie man einen Plaketten-Bären tötet?
Der Stein lag auf dem Rasen, es stand nur noch ein wenige Zentimeter hoher Stumpf.
Meine erste Schlussfolgerung war, dass ein Auto dagegengefahren wäre, aber da dort keine Autos langfahren dürfen, ist das recht unwahrscheinlich wenn auch nicht völlig unmöglich … kurz gesagt, ich weiß bis heute nicht, was damals eigentlich passiert ist.
Am Samstag danach war nur noch der Stumpf da und ich war überzeugt, den Bären niemals wiederzusehen.
Als er ein paar Wochen später wieder an seinem angestammten Platz war -zwar in anderer Form, aber definitiv noch mein Bär- war ich natürlich erleichtert.
Der Stein stand nur nicht mehr aufrecht, sondern die Plakette war jetzt auf dem Stumpf des alten Steins angebracht und der Bär durfte dadurch quasi liegen statt wie bisher aufrecht zu stehen, aber das reichte mir ja schon.
Vielleicht ist diese Sache schuld daran, dass ich immer noch dazu neige, Gegenstände zu personifizieren und ihnen Gefühle zu unterstellen* (ich bin so einer, der den hässlichen kleinen Weihnachtsbaum kauft, der so traurig aussieht, weil ihn niemand haben will), und warum ich an Sachen wie gutes und schlechtes Karma glaube.
Aber genug von den alten Geschichten.
Letztens war ich zum ersten Mal seit mindestens 15 Jahren in diesem Park, und mein erster Weg führte mich natürlich zu meinem Bären.
Jetzt habe ich endlich ein Foto von ihm (es gibt noch ein ganz altes, da stehe ich als ungefähr 4jähriger neben dem Stein, der mich um ein paar Zentimeter überragt – eigentlich hätte ich euch das gerne gezeigt, aber es ist bei meinem restlichen Kram gerade in einem Karton im Keller), und weiß auch endlich, was eigentlich auf der Plakette steht:
Mein Bär
Oh, und außerdem hat der Bär sich bestimmt auch gefreut, dass ich mal wieder seine Tatze geschüttelt habe. Alte Freunde vergisst man schließlich nicht, und erst recht keine kleinen blonden Jungs, die jeden Samstag vorbeikommen.

*Objektiv weiß ich natürlich, dass das Quatsch ist. Subjektiv kann ich das trotzdem manchmal nicht abschalten.

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