Samstag, 28. April 2007

Schaut mal her, mein neuer Freund ...

oder
Auf die bunten Lichter!


Manchmal muss man nicht einmal allein sein, um einen katastrophalen Abend zu erleben.
Das kann auch passieren, wenn man auf einen Geburtstag mit zu gut ausgesuchten Gästen eingeladen ist.
Aber eins nach dem anderen.
Wenn jemand neu in der Stadt ist und sein einziger Erfolg nach über einem Jahr immer noch daraus besteht, der Hauptdarsteller nicht enden wollender schräger Geschichten und das gutmütig belächelte Maskottchen eines Stammtisches zu sein, dann ist er froh, wenn er endlich eine Beziehung vorzeigen kann.
Das macht dieses Melodram auf zwei Beinen natürlich am besten auf der gutbesuchten (Ich würde lieber schreiben „brechend vollen“, aber ich will nicht mit Wortspielereien das Ende vorwegnehmen) Geburtstagsparty meines besten Freundes André, auf der sich ohne diese spannende Neuigkeit wohl alle vor einem Gespräch mit unserem Maskottchen drücken würden.
Er hieß übrigens Arne, aber dafür konnte er ja nichts.
Dass er auf diese Party nur eingeladen wurde, um die Lästereien auf sich zu ziehen und damit die Spannungen von den anderen Gästen fernzuhalten, weiß er natürlich nicht.
Genauso wenig weiß es sein Freund, aber der weiß vieles noch nicht.
Um den Freund kurz zu beschreiben: Er hat die Minderjährigkeit knapp hinter sich gelassen (womit er trotzdem noch mindestens 12 Jahre jünger ist als sein neuer Schatz) und vertritt äußerlich wie innerlich den Typus des schnuckeligen, aber naiv-braven Heterojungen von nebenan.
Kurz gesagt lässt seine Optik einiges Potential erkennen, das er offensichtlich als einziger noch nicht bemerkt hat. Ihn kürze ich am besten mit B. ab, denn ganz ehrlich gesagt fällt mir sein Name sowieso nicht mehr ein.
Diese etwas ungewöhnlich anmutende Konstellation aus Maskottchen und Jung-Schnuckel hat selbstverständlich von der ersten Sekunde an sämtliche Blicke und Tuscheleien auf ihrer Seite, soweit geht der Plan des Gastgebers auf. Und als A-Hörnchen und B-Hörnchen, wie die Gäste
sie schon nach kurzer Zeit liebevoll nennen, die nächsten 2 Stunden kuschelnd auf dem einzigen Sofa in der Wohnung verbringen, haben die übrigen Gäste, die sich auf das Schlafzimmer und das zugig-kalte Raucherexil namens Küche (5 unbarmherzig gut durchlüftete m², auf denen sich ungefähr 30 qualmende Schwuppen stapeln) verteilen, natürlich gute Gelegenheit, ungestört über die beiden zu debattieren. Irgendwann, das kalte Buffet ist inzwischen zur Stürmung freigegeben (was nur wenige nutzen, denn die handelsübliche Durchschnittstucke wird sich niemals beim Essen in der Öffentlichkeit zeigen), lässt A-Hörnchen seinen Schatz kurz allein, um mit einem Pappteller durch die Räume zu geistern. Auf diesem Tellerchen befindet sich (in Gesellschaft einiger hochappetitlicher Reste von 3 verschiedenen Sorten Nudelsalat) ein einsames Stück Camenbert, das keines der Hörnchen anrühren wollte.
Aus diesem Grund zieht das herzensgute A-Hörnchen also los, um es jedem Anwesenden anzubieten. Brot für die Welt, Käse für die Partygäste. Sozusagen.
Seine erfolglose Mission ist nicht grade die kürzeste, und weil A-Hörnchen immer noch nicht in den gemeinsamen Bau bzw. auf das Sofa zurückgekehrt ist, macht sich das noch unerfahrene
B-Hörnchen auf in den dunklen, zugigen Wald, den ich vorhin bereits kurz unter der Bezeichnung „Küche“ vorgestellt habe. Hier lauern zwar viele lästernde Gefahren, aber auch davon weiß das putzig bebrillte Junghörnchen nichts.
Es kommt die ersten zwei Schritte hinein und wittert mit seinem feinen Näschen Zigarettenrauch.
Dadurch stellt sich offenbar ein wohliges Gefühl der Sicherheit bei ihm ein.
Es sucht sich einen Stehplatz, an dem es kaum Gefahr läuft, versehentlich sein Fell an einer fremden Zigarette anzusengen, und lüftet seinen viel zu weiten Pullover. Nun entpuppt es sich als Beutelhörnchen, denn unter seinem Pulli versteckte es bisher geschickt eine Gürteltasche.
Zwar hatte niemand ernsthaft danach gesucht, aber entdeckt hat sie ebenfalls noch keiner.
Also ein klarer Punkt für das Hörnchen.
Darin kramt es nun herum, und den faszinierten Anwesenden drängt sich der Verdacht auf, Loriot persönlich hätte diese Szene choreografiert.
Es entnimmt der Tasche Dinge wie Scheren, Klebeband, Stifte und eben alles, was man auf einer Geburtstagsparty eben so braucht, bis es seine Zigaretten gefunden hat und seinen mitgeführten Hausstand wieder unter großen Anstrengungen in die Tasche stopfen kann. Letzendlich gelingt es ihm dann auch noch, sich eine Zigarette anzustecken, ohne sich selbst oder anderen bleibende Schäden zuzufügen.
Das muss man erwähnen, denn stellenweise war es haarscharf.
Brandgefährlich beinah, um ein weiteres plattes Wortspiel einzubauen.
Leider kommt er durch diese höchst auffällige und dennoch zutiefst unterhaltsame Aktion auch mit einem griechischen Gott in Kontakt, der neben ihm am Fensterbrett lehnt.
Ich versuche selbiges schon seit Minuten durch Blickkontakt, aber anscheinend muss man erst sich selbst und seine Mitmenschen gefährden, um von diesem griechischen Gott bemerkt zu werden.
Da er jetzt Smalltalk mit dem Junghörnchen hält, erfahre ich übrigens, dass er weder ein Grieche noch ein Gott ist, sondern ein amerikanischer Austauschstudent mit einer Vorliebe für Eishockey und einem hinreißenden Akzent.
Natürlich ist das kleine Hörnchen der einzige, der nicht bemerkt, dass diese traumhafte Mischung aus einem umwerfenden Körper, blitzblauen Augen und einem herrlichen Südstaatenakzent hemmungslos mit ihm flirtet.
Gut, das erhöht wieder meine Chancen beim amerikanischen Hockey-Halbgott.
Ich plane fest ein, ihn über diese offenbar unausweichliche Abfuhr hinwegzutrösten.
Währenddessen ist auch Arne wieder von seiner versuchten Lebensmittelspende zurück und gesellt sich zu seinem Herzblatt.
Natürlich ist Arne Nichtraucher (eine seiner merkwürdigeren Eigenheiten) und verträgt die verqualmte Luft nicht.
Während B-Hörnchen sich seiner Zigarette entledigt, befürchten die wetterfesten Küchenraucher schon, die einmalige Chance auf eine weitere spannende Szene mit dem Frischling hätte sich grade in Rauch aufgelöst.
Weit gefehlt!
Als ich zusammen mit dem Traumpaar ins Wohnzimmer zurückkehre, sind mittlerweile alle inklusive mir mittelschwer bis katastrophal betrunken (in manchen Kreisen wird der vorherschende Zustand auch gern als „gut drauf“ bezeichnet) und es wurde zur unsterblichen Musik von Dschingis Khan ein Kreis gebildet, in den ich mich natürlich gern einreihe.
Ich habe schließlich grade sonst nichts zu tun.
Während wir also alle vor uns hinhüpfen und uns gegenseitig mit schlecht choreographierten Tritten blaue Flecke verpassen, kreist natürlich eine Flasche. Ist ja bloß gerecht, wenn wir schon alle kreisen, dann soll es auch eine harmlose kleine Flasche dürfen, die ihr Leben bisher im Kühlschrank fristen musste. Was genau in dieser Flasche ist, weiß niemand, aber alle nehmen immer wieder eifrige Probeschlucke, um es doch noch herauszufinden. Dem „Grapefruitsaft“ verkündendem Etikett glaubt jedenfalls niemand mehr.
Ich ziehe kurzzeitig in Erwägung, den Gastgeber nach dem Inhalt der Ex-Saftflasche zu fragen, aber dann stelle ich fest, dass er bereits anderweitig beschäftigt ist.
Er versucht, in der Mitte des Kreises einen Kopfstand hinzulegen.
Jeder so, wie es ihm gefällt.
“Moskau“ geht inzwischen in die zweite Runde, da wohl irgendein Dschingis Khan-Fan in einem unbeobachteten Moment den REPEAT-Knopf gesucht und gefunden hat.
Egal.
Alle trinken fröhlich weiter (ein paar Minuten später stellen wir ganz nebenbei fest, dass Kreistänze mit Anfassen und Zutreten auch zu Madonnas „Borderline“ funktionieren können), und irgendwann erreicht die immer noch rätselhaft volle Flasche die unverdorbene junge Person namens B-Hörnchen.
Er greift zu (ich erinnere mich in dieser Sekunde schlagartig, dass er in der Küche kurz erwähnte, keinen Alkohol zu vertragen), und nimmt nach einem kräftigen Schluck aus der Flasche erstmal einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
Darauf dann noch einen kräftigen Schluck zum runterspülen.
Da hat wohl doch noch jemand dem Etikett vertraut.
Sein Blick wird leicht glasig, während ich sehe, wie sich Arne erst von ihm und dann von uns anderen verabschiedet, bevor er tatsächlich allein die Party verlässt.
Dem Kleinen scheint es also doch ganz gut zu gefallen, wenn er allein hierbleibt, denke ich kurz bei mir.
Leider denken das auch ein paar andere Leute, die ihn prompt in die Küche zerren um ein paar kleine Drinks auf die Freundschaft, den Papst, bunte Lichter oder was auch immer zu nehmen.
Was wieder einmal beweist, dass Schwule untereinander wirklich verdammt fies sein können.
Mittlerweile hat der Besäufnisveranstalter seinen Platz in der Mitte des Kreises verlassen, um nach einer kleinen Kollekte Getränkenachschub zu besorgen. Ich erinnere mich vage, ein paar Münzen gespendet und für Martini gestimmt zu haben.
Ersetzt wird unser Nachschubholer von einer leicht verlebt aussehenden Altschwester, die wohl mal gesehen hat, wie jemand sexy tanzt und nun diese günstige Gelegenheit (und das wehrlose Publikum) nutzt, um es mal selbst auszuprobieren.
Da sich niemand so recht für ihre skrupellos zur Schau gestellten Rippenbögen begeistern mag, löst sich der Kreis recht schnell auf. Wären allerdings Anatomiestudenten zugegen gewesen, hätte sich der Kreis wohl sogar noch vergrößert.
Viele grosse Künstler sind schon am falschen Publikum gescheitert.
Irgendwann sieht das schmale Persönchen mit den Rippenbögen und dem Sexappeal eines Klappstuhls allerdings ein, dass das mit dem sexy Tanzen doch nicht so ihr Fachgebiet ist.
Ersatzweise geht sie nun dazu über, reihum zu fragen, wer so freundlich wäre, ihr in die Nippel zu beissen.
Na super!
Noch jemand der sich sorgt, ob wir genug zwischen die Zähne kriegen.
Da schau ich doch lieber nach, ob das Unschuldslamm in der Raucherzone schon neue Freundschaften geschlossen hat.
Mein erster Blick in die Küche sagt mir: Offensichtlich schon.
Mein zweiter Blick sagt mir: Mein Hockeygott ist verschwunden. Mist.
Aber zurück zur verlorenen Unschuld.
Der arme Kleine war ja schon den ganzen Abend über außergewöhnlich still, aber so wie er jetzt auf dem Fensterbrett hängt, ist es absolut zu entschuldigen, dass er nichts mehr sagt.
Er hat inzwischen mit einer übrig gebliebenen Martiniflasche die Plätze getauscht, soll heißen sie ist jetzt leer und er ist endgültig voll.
Anscheinend hat da jemand auf sehr viele Freundschaften angestoßen.
Oder auf viele Päpste, ganz genau weiss es wohl niemand mehr.
Es kommt natürlich, wie es kommen muss: Er hängt bereits über einem sperrangelweit geöffneten Hoffenster im dritten Stock, aber als er so richtig grün im Gesicht wird, verlässt er die Küche fluchtartig.
Wahrscheinlich waren ihm da zu viele Zeugen.
Wir alle warten gespannt und leicht peinlich berührt auf Geräusche aus dem Badezimmer, doch stattdessen hören wir wildes Geschrei aus einem anderen Teil der Wohnung.
Zu guter Letzt hatte das B-Hörnchen also doch noch das Schlafzimmer gesehen, und sofort zielstrebig das Bett angesteuert.
Die Party war zwar damit beendet, aber zumindest musste unser Gastgeber die Nacht nicht allein in seiner Wohnung verbringen, nachdem er nur Sekunden nach dem großen Finale mit mehreren Flaschen Martini im Schlepptau zurückkehrte.
Ich erzähle dem Gastgeber in leicht zensierter Kurzfassung, was er versäumt hat, während seine Wohnung immer leerer und seine Augen immer grösser werden.
Als ich mich mit zwei Flaschen Martini in den Manteltaschen verabschiede, hören wir ein dünnes Stimmchen aus dem Schlafzimmer: “Wach doch mal auf, willst du mir nicht in die Nippel beissen?
Der ohnehin schon geschaffte Gastgeber wirft mir den ungefähr dreiundsiebzigsten fragenden Blick an diesem Abend zu.
Happy Birthday.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Was hälst Du von einer Laufbahn als Schriftsteller? :)

Lebenskoffer hat gesagt…

Das wär mein absoluter Traum, schon als Kind wollte ich immer entweder Schriftsteller oder Journalist werden.
Leider habe ich da das Problem, das ich bei allen Dingen, die ich halbwegs gut kann, habe: Ich bin nur gut, wenn es mir Spaß macht.
Sobald ich was unter Zwang machen muss, verschwindet jeder kleine Funke Talent im Nirvana und es kommt allerhöchstens Mist raus.

Also blogge ich einfach weiter vor mich hin, schreibe ab und zu was "längeres" (Wobei der Umzug nach Berlin mir hoffentlich helfen wird, wieder mehr Material zu sammeln - in der Zeit in Osnabrück habe ich nicht einen einzigen Text geschrieben) und tobe mich in einem anderen Beruf aus.
Aber wer weiß, wo mich das Leben noch so hinführt :)

Anonym hat gesagt…

Newwer hat Recht: Du schreibst hervorragend. Und glaube mir, ich kann das beurteilen. Deine gesammelten Geschichten einem Verlag anzubieten, lauter urkomische Stories aus der schwulen Szene, als kleines Büchlein: Das könnte was werden. Probier's doch mal. Am meisten habe ich über die Tanzszene mit den Rippenbögen gelacht und über die Annahme, mit Anatomiestudenten hätte sich der Kreis der Zuschauer vergrößert. Super Idee, das so zu beschreiben!!